CHRISTIN LOSTA – DAS MÄDCHEN LI

Christin Losta, aus Wien gebürtig und in München lebende Fotografin, gehört zu den eigenwilligsten Interpretinnen der Haute Couture. Ihre Aufnahmen sind in den Magazinen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und „Süddeutschen Zeitung“, der „Vogue“ und anderen Journalen erschienen. Während auf Glamour bedachte Modefotografen unsere Aufmerksamkeit vor allem auf die Extravaganzen der Modelle und ihrer Posen lenken, rückt Losta die Materialität und die konstruktiven Merkmale von Kleidung in den Fokus ihres Interesses. Seit mehr als einem Jahrzehnt sucht Christin Losta die bekanntesten Modesammlungen von Museen in Europa und Nordamerika (Den Haag, Zürich, Köln, Paris, Wien, New York) auf und wählt aus deren Fundus kenntnisreich Meisterwerke der Schneiderkunst aus. Als Teil einer Modesammlung sind diese ihrer ursprünglichen Aufgabe, zu bekleiden, längst entzogen, viele Kleidungsstücke sind wegen der Fragilität bzw. Alterung der Stoffe nicht mehr tragbar.
Die aktuelle Aufnahmeserie, 2008 im Aktsaal der Wiener Universität für Angewandte Kunst entstanden, stellt eine Auswahl von bedeutenden Kreationen aus der Wiener Kostüm- und Modesammlung der Universität für Angewandte Kunst vor. Ein Rock von Oskar Kokoschka für seine Jugendliebe Lilith Lang, die er in dem lithografischen Werk „Träumende Knaben“ verewigt hat, ein plissiertes Kleid von Agnes Bernet aus der Modeklasse Victor & Rolf oder ein Abendkleid von der britischen Modeschöpferin Jean Muir (1928-1995), präsentiert an Figurinen, sind der Ausgangspunkt für einen Blick, der dem handwerklichen Können der Schneiderei huldigt und zugleich das konstruktive Innenleben der Kleidung enthüllt.
Christin Losta als Modefotografin zu bezeichnen, wäre eine eher irreführende Beschreibung ihrer Tätigkeit. Sie versteht sich vor allem als Fotografin, die über die Mode arbeitet und die verschiedenen Ausdrucksformen des Mediums reflektiert und variabel einsetzt. Gerade die angewandte Modefotografie verfügt über ein erhebliches Potential zu manipulieren, beim Betrachter das Bedürfnis nach anderen sozialen Identitäten zu wecken. Zweifellos stellt die Mode eines der zentralen individuellen Repräsentationsmittel des Menschen dar. Doch was bleibt übrig von einer Mode, wenn die Person, für die der Entwurf geschaffen wurde, nicht mehr existiert? Was geschieht, wenn die Mode als Identifikation für einen bestimmten Träger ausgedient hat? Welche Körperbilder lassen sich durch die Kleidung im Sinne einer zweiten Haut, einer „oberflächliche Hülle des Selbst“, hervorrufen? Diesen Fragen geht Christin Losta in ihren Aufnahmen von historischen Modeschöpfungen nach, denen dank ihrer Musealisierung ein besonderer Stellenwert in der Geschichte der Mode zukommt.
Christin Losta kommt mit wenigen Elementen und Accessoires für ihre Modekompositionen aus: vor weitgehend neutralen monochromen Hintergründen wird die Kleidung in wohl kalkulierter Lichtregie präsentiert. Diese Räume eignen sich als abstrakte Bühne ideal für eine intensive Wahrnehmung der Mode selber. Losta arbeitet vorzugsweise mit Schauspielern und Tänzern, die sich dank ihres Wissens um den körperlichen Ausdruck, der Rhetorik des gestischen Vokabulars bewusst sind. Dabei lässt sich Christin Losta ebenso vom expressionistischen Ausdruckstanz einer Mary Wigman inspirieren, wie sie sich von der Expressivität altmeisterlicher Gemälde eines Mantegna, den strengen Stil der Wiener Werkstätten oder der Konzept-Kunst der 1960er/1970er Jahre anregen lässt. Vor diesem Hintergrund entwickelt sie eine Bildsprache, die sich Mode mit analytischem Blick nähert und keinen Tribut an vordergründige Effekte des Glamours zollt.
Wir, die Betrachter der Aufnahmen Christin Lostas, nähern uns der Mode mit gesteigerter Aufmerksamkeit. Man ist versucht zu sagen, mit ähnlich analytischem Blick, der uns die handwerkliche Kunstfertigkeit in der Verarbeitung der kostbaren Materialien erfahrbar macht. Nichts lenkt mehr ab von der Sinnlichkeit und Stofflichkeit der mit wenigen Handgriffen kunstvoll in Szene gesetzten Entwürfe. Zugleich bringen die Aufnahmen Körperbilder zum Vorschein als gleichsam zarte flüchtige Impressionen. In dem rosa Kleid der Londoner Modeschöpferin Jean Muir (1928-1995) beispielsweise, das in seinem minimalistischen Faltenwurf einem Chiton ähnelt, glaubt man die Welt der griechisch-römischen Antike wiederauferstehen zu sehen, die auch Isadora Duncan zu ihren Tempel-Tänzen nachhaltig inspiriert hatte.
Einen Höhepunkt der Schneiderkunst, gepaart mit einem untrüglichen Sinn für die Qualität und Eleganz, zeichnet auch die Entwürfe von Gertrud Höchsmann (1902-1990), der „Grand Dame“ der Wiener Haute Couture und ehemaligen Leiterin der Modeklasse an der Universität für Angewandte Kunst aus. Ihr puristischer Stil, geprägt durch eine perfekte Fertigungstechnik, steht beispielhaft für eine Mode, die sich auch im Wandel des Zeitgeistes sicher behauptet. Um die Raffinesse der Schneiderkunst von Höchsmann sichtbar zu machen, hat Christin Losta bei einem drapierten Cocktailkleid die Innenseite nach außen gestülpt, um den Aufbau, oder anders formuliert, die konstruktiven Elemente, den Bauplan eines Kleidungsstücks sichtbar zu machen. Assoziationen werden geweckt an jene Darstellungen von Mode im Surrealismus, die den schönen verführerischen Schein der Oberfläche durchdringen und das verborgene geheime Innenleben sichtbar machen.
Christin Lostas sorgfältiges Arrangement, die Auswahl der Farben und Bildausschnitte – alle diese behutsamen wie diskreten Eingriffe befördern eine Wahrnehmung von Mode, die sich unabhängig von Merkmalen des Individuums vor allem auf eines konzentrieren: die pure Form.
Dr. Ulrich Pohlmann
Sammlung Fotografie, Stadtmuseum München

CHRISTIN LOSTA – DAS MÄDCHEN LI
(THE GIRL LI)

Christin Losta, photographer, born in Vienna and currently living in Munich, is one of the most idiosyncratic interpreters of haute couture. Her photographs have been featured in the colour supplements of the Frankfurter Allgemeine Zeitung and the Süddeutsche Zeitung, in Vogue and in other journals. Whilst fashion photographers intent on glamour predominantly focus our attention on the models’ extravagant behaviour and their poses, Losta concentrates on the materiality and the structural features of the clothes. For more than a decade Christin Losta has been visiting the most famous collections of fashion in European and North American museums (The Hague, Zurich, Cologne, Paris, Vienna, New York), knowledgeably selecting masterpieces of couture. As part of a fashion collection they have long lost their original purpose – that of clothing people; many items of clothing can no longer be worn due to the fragility or deterioration of the fabric.
The current series of photographs, taken in 2008 in the Aktsaal of Vienna University, presents a selection of important creations from the costume and fashion collection of the University of Applied Arts, Vienna. A skirt by Oskar Kokoschka for Lilith Lang, the love of his youth, whom he immortalised in the lithograph “Träumende Knaben”, a pleated dress by Agnes Bernet from the fashion class of Victor & Rolf, or an evening dress by British fashion designer Jean Muir (1928-1995), presented on figurines, are the point of departure for an examination which pays homage to the skill of tailoring and at the same time reveals the clothes' structural interior.
To describe Christin Losta as a fashion photographer would be a rather misleading description of her work. Above all, she considers herself a photographer whose work is about fashion and who reflects upon the medium’s diverse forms of expression, using them in a varied fashion. Especially applied fashion photography has a considerably potential for manipulation, awakening in the viewer the desire for other social identities. Fashion is undoubtedly one of the central means of people's individual representation. But what is left of fashion when the person for whom it was designed does no longer exists? What happens when fashion, as the identification of a specific wearer, has become redundant? What bodily images can be evoked by clothes in the sense of a second skin, of a “superficial shell of the self”? Christin Losta addresses these questions in her photographs of historical fashion creations which, thanks to their being stored in museums, take a special place in the history of fashion.
Christin Losta makes do with a limited number of elements and accessories for her fashion compositions: against mostly neutral monochrome backgrounds the clothes are presented using well-calculated lighting. As abstract stages these locations are ideally suited for an intensive perception of the fashion items themselves. Losta prefers working with actors and dancers who, with their knowledge of physical expression, are aware of the rhetoric of the gestural vocabulary. Here Christin Losta lets herself be equally inspired by the expressionist dance of Mary Wigman and by the expressivity of the paintings of an old master like Mantegna, the austere style of the Vienna Workshops, or concept art of the 1960s and 1970s. Against this backdrop she develops a pictorial language which presents an analytical view of fashion and does not pay homage to the superficial effects of glamour.
We, the people looking at Christin Losta’s photographs, approach fashion with heightened attention. One is almost tempted to say with an equally analytical eye, which lets us experience the craftsmanship in the handling of these valuable materials. No longer is there anything which deflects from the sensuality and materiality of these designs, artfully and almost effortlessly positioned. At the same time, the photographs unsheathe images of bodies as fragile, fleeting impressions. When looking at the pink dress by London fashion designer Jean Muir (1928-1995), for example, which with its minimalist draping resembles a chiton, one feels one is witnessing the resurgence of the Greco-Roman antiquity which also strongly inspired Isadora Duncan’s temple dances.
The designs by Gertrud Höchsmann (1902-1990), the “Grande Dame” of Viennese haute couture and former director of the fashion class at the University of Applied Arts, are another couture highlight, paired with an infallible feel for quality and elegance. Her puristic style, characterised by perfect execution, exemplifies the kind of fashion which holds its own throughout the changing spirit of the times. In order to make the ingenuity of Höchsmann’s couture visible, Christin Losta has turned a cocktail dress inside out to reveal the structure, or, to put it differently, the structural elements, the construction plan of an item of clothing. This conjures up images of those Surrealist depictions of fashion which penetrate the beautiful seductive appearance of the surface and reveal the hidden secret inner life.
Christin Losta’s careful arrangements, the selection of colours and picture details – all these careful and discreet interventions give rise to a perception of fashion which, independent of a person’s individual characteristics, concentrates first and foremost on one thing: pure form. 
Dr. Ulrich Pohlmann
Collection for photography, Stadtmuseum München
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